4:00 a.m – Insight Dock - Aktiv Lernen

4:00 a.m – Insight Dock

Klarer Blick

Wohin der Fluss des Lebens mich trägt – unterwegs den klaren Blick zu behalten, ist manchmal eine Herausforderung.

Daher führe ich, wie so mancher, ein Tagebuch. Meine Kladde dient der eingehenden Betrachtung und Instandsetzung. So, wie ein Schiff ins Dock einfährt, damit Inspektion und Wartungsarbeiten durchgeführt werden können, verbringe ich fast täglich etwas Zeit beim Schreiben und gewinne damit wieder Klarheit. Was sich da von meinen Reisen in unterschiedlichste Umgebungen ansammelt und ereignet – erstaunlich ist es immer. Einiges hinterlässt markante Spuren. Bei manchem ist es besser, wenn es ganz schnell und gründlich entfernt wird. Anderes – wer weiß wofür es gut ist? – Strandgut. Es lohnt sich also auch untendrunter nachzuschauen.

Was liegt auf dem Kopfkissen?

Morgens funktioniert das am besten. Da findet man gern noch im Halbschlaf vorbewusste oder unbewusste Eingebungen. Aus den Traumphasen kann man so manche gute Idee mitnehmen.

Ich sag ja, die Lösung steht auf einem anderen Blatt. Die Bilder aus dem inneren Ideenreich enthalten oft Hinweise. Ich skizziere sie nach, in meinem Tagebuch. Und manchmal ist in den Geschichten und Bildern ein Schlüssel zur Auflösung von Schwierigkeiten enthalten. Nicht zuletzt schlafe ich deshalb auch so gern, wenn ich Probleme mit dem Tagesbewusstsein nicht mehr lösen kann.

Beim Tagebuchschreiben inspiziere ich, was in einer unklaren Situation mit meinen tieferliegenden Schichten passiert ist. Und das gilt nicht nur für berufliche Begebenheiten. Mit den Jahren gibt es ja auch qualifiziertere Auswertungs- und Klärungsverfahren, so dass einem diesbezüglich nur noch in Ausnahmesituationen etwas im Schlaf begegnet. Es gibt hin und wieder private Passagen, die durch unbekannte Gefilde führen. Was auch immer mal denkwürdige Spuren hinterlassen kann…

Ausflüge in fremde Gewässer sind immer besonders ergiebig.

Etwa ein Ausflug mit dem Partner zu dessen Eltern. Das ist nur ein Beispiel, aber ein gutes – ein wenig wie im Trüben fischen, immer nebulös und auf jeden Fall ertragreich. Im Abenteuerland Patchworkfamilie ist es nicht leicht zu finden, dieses Zauberwort, mit dem sich die geheimen Tore der Verständigung öffnen und – auch das kann wichtig sein – schließen lassen. Sorry, das gehört hier nicht hin – jetzt, das hier, ist das andere Blatt.

Solcherlei Gedöns, das sei damit an dieser Stelle deutlich gemacht, sortiere ich nur in mein Tagebuch. Dort ist mir absolut alles erlaubt. Das ist mein Dock, in das ich heutzutage einfahre, um Klarheit für die Weiterfahrt auf meinen Fluss zu erlangen.

Gedanken und Gefühle, dürfen dort beschrieben werden, roh und unbehandelt. Heute passt mir da wirklich alles in den Kram, was mir in den Sinn kommt.

Notiertes kann vergessen werden.

Früher war mein Tagebuch so etwas wie ein Mülleimer oder Klo. Spülung tätigen, wusch und weg. Was da so von mir fallen gelassen wurde, hat mich früher nicht weiter interessiert. Es war mir nicht mehr wichtig.

Liebes Tagebuch,…

Wenn ich noch weiter in der Zeitschiene zurückblicke, auf die Anfänge meines Tagebuchschreibens, in der frühen Pubertät, dann war es schmetterlingsleicht. Das schöne Buch mit dem Schloss war einfach ein Raum, der sich von Herzen füllen ließ. Jedes Schreiben folgte der natürlichen Freude dies tun zu können. Die Gefühlswelt entfaltete sich, breitete sich aus und zeigte sich auf wundervolle Weise, lud zum Genießen ein.

She comes in incense and patchouli…

Etwas später diese kleinen, dicken schwarzroten Kladden aus dem Asialaden. Die rochen immer nach Patchouli bei mir. Und sie waren Raum für Begegnungen mit Seelenschwestern oder Freundinnen. Das waren imaginäre oder echte Verbindungen, mit denen ich voller Liebe für mich und in tiefem Verständnis für alle meine Bedürfnisse war.

Punk – wir sprühen nicht vor Freude

Etwas später, in einer weitaus weniger selbstfürsorglichen Phase, habe ich dann wohl, das Tagebuch als Abort, angefangen, mit den Augen der argwöhnischen Kritikerin in die Schüssel zu gucken, um mich, folge dessen, vor manchen meiner Gefühlsäußerungen zu ekeln und für manchen Seelenmüll auch zu beschimpfen. Es gibt eine Ahnung, woher diese Selbstgeißelung kam. Heute kommt sie mir vollkommen sadistisch vor. Denn das Schreiben hat mir, mehr als alles andere, geholfen, jedes schwierige Erlebnis und manche Grenzerfahrungen konstruktiv zu bewältigen.

Sinndiät

Das Schreiben hat mit großer Sicherheit auch zum Erhalten meiner körperlichen Gesundheit beigetragen.

Auf diese Weise ist es zum Beispiel gelungen, mir eines Tages das Rauchen abzugewöhnen. Irgendwann fand ich schreibend heraus, dass ich mir Chancen vernebelt hatte, mich gescheut hatte, Probleme anzugehen. Immer, wenn es nur ansatzweise schwierig erschien, habe ich geraucht –  also noch mehr als sonst. Dass es nicht funktionieren würde, Schwierigkeiten in Alkohol aufzulösen, wusste ich. Daher habe ich das erst gar nicht probiert. Das Tagebuchschreiben hat hier zu der Erkenntnis geführt, dass Probleme, die in Alkohol eingelegt werden, sich besonders gut konservieren und dann noch schwerer verdaulich werden.

Ich liebe das Tagebuchschreiben, denn es hat mir, egal wohin mich der Fluss bisher getragen hat, stets den hervorragenden Dienst erwiesen, komplizierte Dinge klarer zu sehen und knackige Herausforderungen gesund zu bearbeiten. Nicht alles ist gleich köstlich, aber unter dem Gesichtspunkt der genauen Inspektion, Wartung, Korrektur und Entfernung von Schadhaftem, hat mein Tagebuch heute den Ehrennamen „Alles ist möglich – Buch “ wirklich verdient.

Am Ende war es dann aber immer nur für eine Zeit ein Arbeitsbuch. Denn ich entsorge jedes Buch, sobald die letzte Seite gefüllt ist. Der Wert ist, mich dem zuzuwenden, was für mich Sinn macht. Meine Energie wohldosiert fruchtbar, ersprießlich, kreativ in ganzheitliche Gesundheit zu investieren, mich also dem anderen Blatt zuzuwenden….in der Überzeugung, die Lösung steht immer auf einem anderen Blatt.

Also dann, wir sehen uns, Manu Dillenburg-Lux